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Europawahl am 13.6. 2004:

Grün Wählen

Interview mit Martin Runge, Landtagsabgeordneter

 

Du bist Vorsitzender des Europa-Ausschusses des bayerischen Landtags, was kann Bayern von Europa erwarten, was kannst Du mit deinem Amt bewirken?

Bayern und Deutschland sind zum ersten Mal in ihrer Geschichte nur von Freunden umgeben. Bayern hat als besonders exportorientiertes Land schon immer von der Europäischen Integration profitiert. Mit der Osterweiterung wächst der Absatzmarkt weiter an.

Als Ausschussvorsitzender bin ich nicht nur Leiter der jeweiligen Sitzungen, sondern kann auch Tagesordnungen und Inhalte steuern, externe Referenten einladen etc. Dadurch wiederum und durch die wohl etwas stärkere Wahrnehmung als Vorsitzender. kann ich mithelfen, dass das Thema Europa stärker in die Öffentlichkeit transportiert wird.

Stimmt die bei vielen vorherrschende Meinung, dass Europa viel koste, nichts bringe und im übrigen weit weg sei?

Die Europäische Integration hat wesentlich mit zu Frieden, Freiheit, Sicherheit, Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung in Europa beigetragen. Deutschland hat die Teilnahme an den Europäischen Gemeinschaften gar die Wiederaufnahme in die internationale Staatengemeinschaft ermöglicht. Auch der wirtschaftliche Nutzen der Europäischen Integration ist für Deutschland weit höher, als es die Kosten sind. Der EU-Haushalt hat ein Volumen von etwa 100 Milliarden Euro im Jahr ,etwa dreimal so hoch wie der Bayerische Staatshaushalt. Deutschland zahlt hiervon etwa 22 Milliarden Euro, von denen wiederum ca. 17 Milliarden Euro direkt zurückfließen. Die im Zusammenhang mit der Osterweiterung jetzt hinzukommenden Nettozahlungen liegen bei knapp einer Milliarde Euro je Jahr. Dies ist nur ein ganz kleiner Bruchteil der Gelder, mit denen die fünf neuen Bundesländer unterstützt werden.

Die EU-Erweiterung vom 1. Mai ist auch für viele BürgerInnen mit der Sorge verbunden, dass z. B. zunehmend Arbeitsplätze verlagert werden, wie siehst Du die Zukunft?

Wo Chancen sind, gibt es auch Risiken, neben Gewinnern wird es auch Verlierer der Osterweiterung geben. Besonders stark von den Folgen der Erweiterung wie anschwellenden Verkehrsströmen und zunehmendem Wettbewerbsdruck auf Unternehmen und deren Mitarbeiter betroffen sind die Grenzregionen auch in Bayern. Diese sind sozusagen Nahtstelle und Experimentierfeld der Erweiterung. Auch ohne die Erweiterung werden täglich in Deutschland Arbeitsplätze abgebaut bzw. verlagert. Kaufkraftabfluss aus den Grenzregionen zulasten von Gastwirten, Tankstellenbetreibern oder etwa Friseuren gibt es bereits seit dem Fall des Eisernen Vorhanges. Das gleiche gilt für Betriebsgründungen in den mittel- und osteuropäischen Reformstaaten vornehmlich größerer deutscher Unternehmen. Dabei war neben niedrigeren Arbeitskosten vor allem die Marktnähe Hauptmotiv. Teilweise werden Arbeitsplätze verlagert, teilweise sorgt aber auch die Verlagerung bestimmter Tätigkeiten dafür, dass andere Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden. Ins Kalkül gezogen werden müssen auch hier bei der Arbeitsplatzdiskussion die guten Marktchancen für deutsche Unternehmen aufgrund der großen Nachfrage nach hochwertigen Konsumgütern und nach Investitionsgütern in unseren Nachbarländern. Besonders großem Druck infolge von Niedriglohnkonkurrenz in anderen Staaten wie auch bei uns werden geringer qualifizierte Menschen in Deutschland ausgesetzt sein, trotz der Übergangsfristen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit und bei der Dienstleistungsfreiheit. Auch in diesem Zusammenhang ist also für bessere Bildung und Ausbildung zu werben und zu trommeln, wie es überhaupt Aufgabe des Staates ist, die Übergänge zu erleichtern.

Wird es nicht zunehmend schwieriger, 25 Staaten unter einen Hut zu bringen?

Selbstverständlich wird die Entscheidungs- und Konsensfindung in einem Verbund, welcher von ursprünglich sechs auf 25 Mitgliedsstaaten angewachsen ist, immer schwieriger. Aus diesem Grunde sind die jetzt angegangenen institutionellen Reformen ja auch so wichtig. So gilt es, stärker vom Einstimmigkeitsprinzip zu Mehrheitsentscheidungen zu kommen. Vor allem sollte aber in unseren Augen das Europäische Parlament gestärkt werden.

Welche Rolle kann in Zukunft das Parlament überhaupt spielen, wenn die wichtigsten Entscheidungen auf der Ebene der Regierung getroffen werden?

Zur Zeit wird ein Großteil der EU-Entscheidungen vom Europäischen Rat, also den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten getroffen. Diese tagen und entscheiden hinter verschlossenen Türen und treffen ihre Entscheidungen manchmal auch gegen den Mehrheitswillen des Europäischen Parlaments bzw. der nationalen Legislativgremien, also in Deutschland Bundestag und Bundesrat. Das Europäische Parlament besitzt direkte demokratische Legitimierung, es tagt öffentlich und ist zudem sehr vielfältig, sehr heterogen besetzt, was wiederum unserer Ansicht nach zu oft besseren Entscheidungen im Vergleich zu den Beschlüssen des Rates, in jedem Fall aber zu mehr Transparenz führen würde. Deshalb fordern wir eine massive Ausweitung der Felder, in denen das Europäische Parlament mitentscheiden darf.

Warum Grün wählen?

Weil wichtige politische Ziele wie Demokratie, Beteiligung, Transparenz, Schutz von Menschenrechten, Umwelt- und Verbraucherschutz besonders gut bei den grünen Parlamentariern aufgehoben sind, teilweise nur dort überhaupt gut wahrgenommen werden. Aktuelle Beispiele sind der Einsatz der grünen Parlamentarier zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel, ihr Kampf für eine im Hinblick auf Gentechnik verschärfte Saatgutrichtlinie oder ihr Einsatz für den Erhalt der kommunalen Zuständigkeit für die Daseinsvorsorge, beispielsweise für Wasser und Abwasser.