Fürstenfeldbruck

Streit um Verkehrsprognose für S4

Die Bürgerinitiative argwöhnt, dass falsche Daten einen Streckenausbau in ein schlechtes Licht rücken wollen. Das Innenministerium weist die Vorwürfe zurück


Von Peter Bierl


Fürstenfeldbruck – Die Bürgerinitiative „S-4-Ausbau jetzt“ wirft dem bayerischen Innenministerium vor, mit falschen Daten zu operieren, um den Nutzen eines Ausbaus der Strecke möglichst gering erscheinen zu lassen. Eine Sprecherin des Ministeriums wies die Vorwürfe zurück: Sie zeugten von „wenig Bereitschaft, sich konstruktiv in den Entwicklungsprozess der S 4 einzubringen“. Die Bahn AG sprach von „Unterstellungen“, die wenig hilfreich seien.

BI-Sprecher Mirko Pötzsch bezieht sich auf Angaben der DB Netz vom Mai 2014 sowie eine Kosten-Nutzen-Berechnung, die im Auftrag des MVV 2012 angestellt wurde. Darin werden unterschiedliche Zahlen für den künftigen Regionalverkehr zwischen Buchloe und München angegeben.

In dieser Kosten-Nutzen-Analyse war von 47Zugpaaren, also 94 Zügen, die Rede. Nach einem Ausbau der S 4 könnten es 110 Züge werden. Dagegen werden in der Prognose der DB Netz aktuell 75 Regionalzüge aufgeführt. Nach einer Elektrifizierung der Strecke Geltendorf-Lindau könnten 134 Züge fahren. Harald Strassner von der DB Netz erklärte der SZ dazu im Oktober, man werde diese Kapazität aber nicht nutzen können, bis der zweigleisige Engpass zwischen Buchenau und Pasing beseitigt sei. Er reagierte auf Befürchtungen, nach der Elektrifizierung, die 2020 fertig werden soll, drohe ein Verkehrschaos auf der S 4, wenn mehr Züge zwischen München, dem Allgäu und der Schweiz unterwegs sein sollen.

Pötzsch weist darauf hin, dass derzeit nur 38 statt 47 Zugpaare unterwegs sind, und fragt deshalb: „Sind jetzt weniger Züge unterwegs als möglich, und wenn ja, warum?“ Vor allem aber fordert er das Innenministerium auf, zu den unterschiedlichen Zahlen klar Stellung zu beziehen, denn „aus den Diskrepanzen ergeben sich einige Fragen und ein ganz bitterer Verdacht“. Seiner Ansicht nach „sieht es nach bewusster Falschverwendung von Berechnungsdaten aus“, mit dem Ziel, den Nutzen eines Ausbaus der S4 runterzurechnen.

Der Studie von 2012 zufolge hätte ein viergleisiger Ausbau zwischen Buchenau und Pasing einen geringen Kosten-Nutzen-Faktor von 1,04. Das Projekt galt darum als gerade noch wirtschaftlich. Liegt der Faktor bei Eins oder darunter, gibt es für den Ausbau keine Steuergelder. Allerdings hatte die bayerische Landesregierung 2012 noch einen viergleisigen Ausbau bis Buchenau versprochen, inzwischen ist nur noch von drei Gleisen bis Eichenau die Rede.

Den Vorwürfen der BI fehle jede fachliche Grundlage, erklärte eine Sprecherin des Innenministeriums der SZ. Die Forderung von Pötzsch, den Zahlensalat aufzuklären, hat das Ministerium aber nicht erfüllt. Stattdessen wird der Bürgerinitiative ein Gespräch angeboten, in dem sich „vermeintliche Widersprüche schnell aufklären“ ließen. „Weder die DB noch der Freistaat haben ein Interesse daran, die Weiterentwicklung der S4 zu torpedieren“, betonte die Sprecherin. Die Bahn AG erklärte, man müsse zwischen verschiedenen Streckenabschnitten, Ausbauten und Zeiträumen differenzieren. Heute würden auf dem am dichtesten befahrenen Abschnitt zwischen Buchenau und Pasing täglich 210 Züge fahren. Sobald in München der zweite Tunnel gebaut, die Strecke nach Lindau elektrifiziert und die S4 ausgebaut sei, könnte diese Zahl auf 310 erhöht werden.

Dagegen würde der Anstieg des Zugverkehrs allein durch die Elektrifizierung „relativ gering“ ausfallen, erklärte der Sprecher der Bahn. Der Fernverkehr würde sich von acht auf 16 Züge verdoppeln, der Güterverkehr von fünf auf 16 verdreifachen. Das entspricht in etwa der erwähnten Prognose der DB Netz vom Mai 2014. Kurioserweise heißt es in der Stellungnahme der Bahn, diese Prognose sei ihnen „nicht bekannt“. Zur Entwicklung des Regionalverkehrs äußerte sich der Bahnsprecher nicht, dabei handelt es sich dabei um den vom Umfang her wichtigsten Faktor.

Unterdessen hat der Bahn-Experte Ralf Wiedenmann an Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie Landräte und Bürgermeister zwischen Lindau und München appelliert, sich jetzt bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) für den Ausbau der S 4 einzusetzen. Denn bis zum Herbst werde der neue Bundesverkehrswegeplan erarbeitet. Ohne den Ausbau der S4 bliebe sowohl das Angebot für die Pendler aus Fürstenfeldbruck schlecht, aber auch die neuen Kapazitäten im Regionalverkehr ins Allgäu ungenutzt. „Wegen des Nadelöhrs zwischen Geltendorf und Pasing wird kein einziger zusätzlicher Nahverkehrszug verkehren“, warnte er. Wiedenmann, der aus Puchheim stammt und sich in der Schweiz für einen Fahrgastverband engagiert, rügte, Ausbau und Elektrifizierung würden als isolierte Projekte betrachtet und Synergieeffekte übersehen.



Quelle
Verlag Süddeutsche Zeitung
Datum Freitag, den 27. Februar 2015
Seite 7