München-Region-Bayern
ZWEITE STAMMSTRECKE
Beherzt in den Verkehrskollaps
Von Kassian Stroh
Wäre es ein Kasperltheater, das Publikum würde johlen vor
Vergnügen. Da stünde im Wald ein Trupp tölpelhafter Räuber herum und stritte
sich, wer den Schatz auszugraben hat. Der eine knufft den andern, alle pöbeln
rundherum, das Ganze artet in eine Schlägerei aus – und am Ende liegen die
Räuber blutend da. Vom Schatz hat keiner was, den holt sich schließlich
triumphierend der Kasperl.
Dummerweise ist die zweite S-Bahn-Stammstrecke kein
Kasperltheater und das Publikum kein leicht zu begeisternder Haufen von
Fünfjährigen, sondern die besorgte Bewohnerschaft Münchens und seines Umlands,
den drohenden Verkehrsinfarkt vor Augen. Trotzdem beschreibt die Kasperlszenerie
ganz gut, wie die beteiligten Politiker von Stadt, Freistaat und Bund mit dem
Dauerbrenner-Thema umgehen. Zahl du doch mehr, mach du doch mal, so lange ich
keine Genehmigung habe, fange ich noch nicht einmal zu rechnen an – so geht es
hin und her. Seit Monaten und Jahren. Nur wird am Ende vermutlich allein ein
Scherbenhaufen übrig bleiben und kein heldenhafter Kasperl.
Primär in der Verantwortung stehen zwei Beteiligte: der
Freistaat, der rechtlich gesehen für die Stammstrecke zuständig ist, und der
Bund, der grundsätzlich zugesagt hat, einen großen Anteil zu finanzieren. Wie
deren Vertreter in der Causa agieren, ist aber keine Politik, sondern
Politikverweigerung. Geschickt drücken sie sich vor einer Entscheidung, haben
noch immer keine tragfähige Vereinbarung unterzeichnet, die alle Kosten umfasst
– und sie hoffen vermutlich darauf, am Ende billiger davonzukommen, wenn das
Projekt irgendwann ganz zerredet und gescheitert ist.
Zur Erinnerung: Es geht um das wichtigste Verkehrsprojekt
eines der wichtigsten Ballungsräume der Republik, der ein gravierendes
Verkehrsproblem hat. Politik sollte Probleme lösen, nicht sie schaffen. In
diesem Einzelfall kommt leider eines hinzu: Sie ist selber zu einem geworden.