Fürstenfeldbruck

Mythos Sardinenbüchse Die zweite Stammstrecke allein bringt noch keine Vorteile auf der S4

Bei einem Gespräch in der SZ-Redaktion weist der Geschäftsleiter der S-Bahn den Vorwurf zurück, Pendler würden in den Zügen zusammengepfercht. Der Vertreter der DBNetz kündigt Verbesserungen durch einen Ausbau im Bahnhof Pasing an


Von Peter Bierl


Fürstenfeldbruck – Für die Fahrgäste auf der S4 wird es so schnell keine Verbesserungen geben. Das machten Vertreter der Bahn AG am Mittwoch bei einem Gespräch in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung in Fürstenfeldbruck klar. Ein dreigleisiger Ausbau bis Eichenau werde allerdings parallel zur umstrittenen zweiten Stammstrecke in München geplant, versicherte Harald Strassner, der bei der DB Netz für die Planung der langfristigen Struktur zuständig ist. Der Geschäftsleiter der S-Bahn, Bernhard Weisser, wies aufgrund von Zählungen die Kritik zurück, im Berufsverkehr seien die Pendler auf der S4 wie Sardinen eingepfercht.


Die unmittelbare Herausforderung für die Bahn ist der Streik der Lokführer, den Weisser für kommende Woche erwartet. „Wir werden ein Grundangebot in größtmöglichem Umfang sichern“, versprach er. Wie groß dieses Angebot ausfallen wird, hängt allerdings von der tatsächlichen Streikbereitschaft der Lokführer ab. Vom Fahrplanwechsel im Dezember an werden fünfzehn Züge des ET 420 aus Stuttgart eingesetzt, die nicht durch die Röhre fahren können. Die Züge wurden in den Neunzigerjahren gebaut, werden derzeit innen neu ausgestattet, und auf der S4 als Verstärker im Berufsverkehr fahren, etwa bei dem Zug um 7.03Uhr ab Buchenau, der sich in Pasing teilt, um zum Starnberger Flügelbahnhof und nach Höllriegelskreuth zu fahren sowie auf der ganz neuen Verbindung um 8.03Uhr ab Buchenau zum Hauptbahnhof.


Die Zahl der Fahrgäste der Münchner S-Bahn wird laut Weisser weiter steigen, um etwa zwei Prozent pro Jahr entsprechend dem Bevölkerungswachstum im Raum München. Das sei aber vorerst kein Problem, weil noch Kapazitäten vorhanden sind. Ein Vollzug mit zwei Garnituren ist für maximal 1088Personen zugelassen, das Optimum liege zwischen 700 und 800Personen und werde auf der S4 selbst zu Spitzenzeiten im Berufsverkehr nicht erreicht. Klagen von Bürgern und Kommunalpolitikern über eine „Sardinenbeförderung“ nannte Weisser unbegründet und verwies auf Zählungen aus dem Vorjahr: Im Durchschnitt habe man nach der Haltestelle Leienfelsstraße bei einem Zug, der um 5.54Uhr in Geltendorf abfährt, 450 Fahrgäste gezählt bei 384 Sitzplätzen. Ein Verstärkerzug ab 8.31Uhr werde im Schnitt von 435 Fahrgäste genutzt. Die Beschwerden führte Weisser darauf zurück, dass kurzzeitig wegen einer Baustelle nur Kurzzüge verkehrten.


Der Vertreter der DBNetz kündigte im Bereich des Geltendorfer Bahnhofs Verbesserungen an: Das Elektronische Stellwerk werde bis Oktober 2015 so verbessert, dass mehrere Züge gleichzeitig in den Bahnhof einfahren können, statt dass S-Bahnen aus München kurz vor dem Bahnhof halten und die Fahrgäste ihren Anschlusszügen von der Ammerseebahn nur noch wütend hinterherschauen können. Eine Blockverdichtung im Bereich Türkenfeld soll S-Bahnen ermöglichen, verspäteten Regionalzügen schneller nachfahren zu können, was die Wartezeiten verkürzt.


Weitere Verbesserungen für die S4 werde es jedoch erst geben, wenn der zweite Tunnel in München gebaut sein wird, betonten die Vertreter von Bahn und MVV unisono gemäß der Linie der bayerischen Staatsregierung. Die Kapazität der vorhandenen Stammstrecke sei erschöpft und die meisten Pendler wollten in die Innenstadt, sagte Weisser. Die zweite Röhre in München ist verkehrspolitisch umstritten und ihre Finanzierung ungewiss, die Kosten werden derzeit auf über zwei Milliarden Euro geschätzt, Tendenz steigend. Weil auch am Pasinger sowie am Hauptbahnhof keine Kapazitäten mehr frei seien, könnten auch keine weiteren Verstärkerzüge mehr eingesetzt werden, wie sie der Verkehrsplaner Karl-Dieter Bodack in einer Studie vorgeschlagen hat.


Allerdings stellte Strassner auch fest, dass der zweite Tunnel allein den Pendlern der S4 wenig bringt, so lange auf der Strecke kein Ausbau stattfindet und der Engpass in Pasing besteht. Vor Pasing fahren auf einer Strecke von 600Metern sämtliche Züge des Regional- und Fernverkehr in beiden Richtungen plus S-Bahnen stadteinwärts auf einem einzigen Gleis. Lediglich die S-Bahn stadtauswärts hat ein eigenes Gleis. Die DBNetz plant diesen Abschnitt von zwei auf vier Gleise auszubauen. „Dadurch wird es einen absoluten Qualitätssprung geben“, versicherte Strassner.


Der Ausbau der S4-West beinhaltet neben den Maßnahmen vor Pasing ein drittes Gleis bis Eichenau für Fern- und Regionalverkehr sowie neue Weichen im Bahnhof von Eichenau sowie östlich von Puchheim, die die Flexibilität bei Bauarbeiten oder Störungen erhöhen, erklärte Strassner. Eine Blockverdichtung zwischen Eichenau und Buchenau werde eine dichtere Zugfolge ermöglichten. Den Vorwurf der Bürgerinitiative „S4-Ausbau jetzt“, das dritte Gleis werde so gebaut, dass ein weiterer Ausbau nicht möglich ist und die Bahn AG dafür notwendigen Grund verkauft, bestätigte der Vertreter der DBNetz implizit.


Zwar könne man alles bauen, auch ein viertes Gleis, aber ein solches unmittelbar und schnell zu ergänzen, wäre unmöglich. „Der Extra-Aufwand wäre zu groß“, sagte Strassner. Jahrelang hatten Vertreter der Bahn und der Staatsregierung auf vier Gleisen als effektiver beharrt, nun erklärte Strassner, der Bedarf an nur einem dritten Gleis stütze sich auf Fahrgast-Prognosen über die nächsten 20 bis 30Jahre.


Er wies auch Befürchtungen zurück, die Elektrifizierung der Strecke Geltendorf-Lindau, die bis 2020 vollendet sein soll, werde ein Verkehrschaos auf der S4 produzieren. Regional- und S-Bahnverkehr blieben gleich, der Fernverkehr nach Zürich erhöhe sich von vier auf acht Züge, versicherte Strassner. Eine Prognose der DBNetz vom Mai 2014, in der von einer Verdopplung des Verkehrs die Rede war, sei so zu verstehen, dass diese Steigerung erst nach Ausbau der S4 eintreten werde. Strassner räumt ein, dass es bitter ist, die Kapazitäten, die die Elektrifizierung für den Regionalverkehr ins Allgäu schafft, nicht nutzen zu können. „Ich hoffe, dass der Zustand mit diesem Pfropfen bei Pasing nur wenige Jahre dauern wird.“


S-Bahn-Geschäftsleiter Weisser bestätigte die Kritik, dass das Münchner S-Bahnsystem seit der Eröffnung zu den Olympischen Spielen 1972 nicht wesentlich ausgebaut wurde und mit der Entwicklung der Region nicht Schritt gehalten hat. Die S-Bahn sei auf maximal eine halbe Million Fahrgäste pro Tag ausgelegt worden, jetzt erreiche man bis zu 840000Kunden an Werktagen. Die gefahrenen Zugkilometer seien um mehr als 200Prozent von 6,5Millionen auf 20 Millionen (2006) gestiegen, das Netz aber bloß von 360Kilometer auf 442 gewachsen, im wesentlichen wegen der Flughafenlinie.

Werbung für die S-Bahn: Bernd Honerkamp, Harald Strassner und Bernd Weisser (oben von links) berichten in der SZ-Redaktion über geplante Verbesserungen und die Abhängigkeit von der zweiten Stammstrecke. Auf der S-4-Strecke sollen bald Züge der alten Baureihe ET 420 eingesetzt werden, die früher schon im S-Bahn-Netz unterwegs waren.Foto:Günther Reger, Niels Jörgensen