Fürstenfeldbruck - Der viergleisige Ausbau der S4 sollte angesichts der Kostensteigerung und der Verzögerung der Bauzeit des zweiten Münchner S-Bahntunnels vorgezogen werden. Das fordert Hermann Seifert, der ÖPNV-Experte im Landratsamt. Die Landkreispolitiker sind dagegen unterschiedlicher Meinung: Landrat Thomas Karmasin (CSU) und der Brucker Verkehrsreferent Mirko Pötzsch (SPD) glauben, dass die von der Bahn eingeräumte Teuerung um 400 Millionen Euro keine Folgen für die S4 haben werde. Dagegen plädiert Elke Struzena (Grüne) für eine Entkoppelung beider Projekte. Der Fahrgastverband Pro Bahn fordert, sich vom Tunnelbau zu verabschieden.
Seifert ist im Landratsamt für den Bus-Fahrplan zuständig. Er hat den Vorschlag formuliert, auf der S4 Expresszüge einzusetzen, die über Pasing in den Münchner Süden fahren sollen. Ein Gutachten der Bahn AG dazu soll bis März vorliegen. 'Wir gehen davon aus, dass es technisch möglich ist', sagt Seifert. Die Frage sei, ob der Vorschlag finanziert wird. Für den ÖPNV-Experten ist die Meldung über die Verteuerung des Münchner Mammutbaus und die Verlängerung der Bauzeit um drei Jahre bis 2021 'ein weiteres Argument, um den Ausbau der S4 vorzuziehen'. Auch im Kampf um den Einsatz der Expresszüge sieht er sich bestärkt. 'Es kann doch kein Stillstand auf der S4 sein, bis alles andere gebaut ist', sagt Seifert.
Sein Chef sieht das ein bisschen anders. Karmasin und Seifert sind sich zwar einig in Bezug auf die Expresszüge, die beide möglichst schnell haben wollen. Aber der Landrat stellt den Ausbau der S4 hintan, wie es der Beschlusslage der Staatsregierung entspricht. Zuerst müsse die zweite Röhre in München fertig werden, sonst hülfen zwei Gleise mehr bis Eichenau auch nichts, argumentiert Karmasin. 'Es ärgert mich, dass wir der Bahn ausgeliefert sind, aber wir sind abhängig von den großen Playern', sagt Karmasin zu der weiteren Verzögerung. Er mag nicht einmal die Position der Bürgerinitiative 'S-4-Ausbau jetzt' unterstützen, die eine parallele Planung fordert. 'Ich kann nicht beurteilen, ob das Sinn macht, denn das wäre eine hypothetische Planung um Jahre voraus', sagt der CSU-Politiker, der seit Jahren als Sprecher der Landräte im MVV fungiert. Karmasin verweist darauf, dass für den Tunnelbau ein Puffer von 500Millionen Euro eingeplant sei, von dem nun 400 Millionen weg wären. 'Es wird enger', stellt er fest.
In der S-4-Initiative stritten sich Grüne und Verkehrs- und Umweltverbände anfangs mit den Vertretern der SPD, die wie CSU und FDP das Tunnelprojekt unterstützt. Inzwischen haben die Kontrahenten in der Bürgerinitiative einen gemeinsamen Nenner gefunden: Die Planung des viergleisigen Ausbaus und der zweiten S-Bahn-Stammstrecke sollen parallel stattfinden. 'Deshalb sind wir Grünen aber nicht für die zweite Röhre', betont Struzena.
Der SPD-Politiker Pötzsch glaubt, so lange beiden Vorhaben nebeneinander verfolgt werden, werde sich die Verteuerung des Tunnels nicht auf die S4 auswirken. Der Brucker Verkehrsreferent geht davon aus, dass der zweite Tunnel sich noch um Jahre verzögern wird und allein dadurch Mehrkosten entstehen. Er verweist auch auf die Kritik der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) an dem Tunnelprojekt wegen der unsichern Umsteigemöglichkeiten von und zur U-Bahn. 'Der Planungsprozess ist noch nicht ganz fertig.' Die Bürgerinitiative werde sich im Februar wieder treffen. 'Wir wollen weiter im Gespräch bleiben und Druck machen', kündigt Pötzsch an.
Während der bayerische Verkehrsminister Martin Zeil (FDP) die Kostensteigerung als große Überraschung darstellte, verweist Struzena auf das umstrittene Projekt Stuttgart 21, wo die Deutsche Bahn AG unlängst ebenfalls höhere Kosten einräumen musste, ganz wie Kritiker von Anfang an prognostiziert hatten. Ähnlich sieht es der Vertreter von Pro Bahn in der Bürgerinitiative: 'Im Vier-Jahres-Turnus teilen die Verantwortlichen mit, dass die Münchner Röhre immer teuerer wird. Das allein widerlegt die Behauptung, die Finanzierung sei gesichert und die Kosten im Griff', erklärt Andreas Barth und warnt vor einem Stillstand: 'So lange man sich nicht von der Tunnel-Illusion verabschiedet, passiert im ganzen Münchner S-Bahn-System gar nichts.' Peter Bierl
(SZ vom 08.01.2013) |